"Berlin wird Weltstadt"
Wie Architekturstudenten Berlin „aktiv verslumen“ wollen/von Jonas Zipf

Was macht eine Ansammlung sesshafter Menschen zu einer echten Metropole? Kulturelle Vielfalt oder herausragende Ideen? Die bundesdeutsche Diskussion um Berlins kosmopolitischen Status kennt nur eine Antwort: Berliner müssen ärmer werden, Berlin fehlen richtige Slums. Erst dann kann sich die Hauptstadt in die Rige echter Weltstädte wie Sao Paulo, Kingston oder Kapstadt einreihen.
Die, die das sagen, sollten es wissen. Sie sind Architekturstudenten der TU und beschäftigen sich in ihrem Studium auch mit Stadtplanung und –entwicklung.

Sie haben mit dem Bau des ersten Berliner Slum bereits begonnen. Vor der Architekturfakultät der TU am Ernst-Reuter-Platz stehen seit Sonntag, dem 16. November mehrere aus Holzpaletten, Wellblechen oder Planen zusammengezimmerte Gebäude. Das Slum ist in diesen zwei Wochen kontinuierlich gewachsen. Unter einem Banner mit der Aufschrift „Unsere Fakultät verslumt“ stehen mittlerweile über zwanzig Hütten. Die Materialien kommen aus dem Sperrmüll oder vom Bau.
Die Aktion steht im Rahmen des Streiks der drei großen Berliner Universitäten TU, HU und FU.
Stefan Endewardt, Robert Burghardt und Stephan Becker hatten die Idee. „Wir saßen am Abend des 13. Novembers zusammen und fragten uns, wie man den gerade beschlossenen Streik inhaltlich füllt“. Die Verslumung soll ein Beitrag zu einer neuen kritischen Haltung sein.
„Das Problem Bildungsabbau greift tiefer, als es momentan diskutiert wird, die Kürzungen stehen in einem globalen Zusammenhang“, sagt der 24-jährige Robert. Die aktuell um sich greifenden Sparmaßnahmen auf Landes- und Bundesebene gehorchen für ihn einer „größeren Logik“, die sich immer nur um Effizienz und Funktionalität dreht, „um den Standort Deutschland, den man international wettbewerbsfähig machen müsste“.

Ein solcher Sachzwang zum Sparen bedeutet für die universitäre Architektur, daß man zunehmend auf den ganzheitlichen und künstlerischen Anspruch des Faches verzichtet, die Ausbildung nur noch auf Praxistauglichkeit und Wirtschaftlichkeit ausrichtet. „Es geht allerdings nicht darum, wie ich möglichst schnell einen Gebäudeblock baue“, findet Stephan Becker, sondern um „Architektur für Menschen“.
Die Verslumung ist so ein architektonischer Entwurf , sie ist als „Plattform für Selbstbau und Eigeninitiative“, als „öffentlicher Ort der politischen Diskussion“ gemeint.
Unter dem Motto „informelle Universität“ finden in den Hütten Diskussionsrunden über die zukünftige Studienordnung der Architektur statt, genauso wie aus den besetzten Gebäuden ausgelagerte Vorlesungen. Es gibt eine Bühne für Theateraufführungen und Konzerte, ein symbolisches Exmatrikulationsbüro und eine Teeküche. Längst halten auch andere Fachbereiche wie die Mathematik Veranstaltungen im Slum ab.
„Es geht um die interdisziplinäre Zusammenarbeit Studierender für eine öffentliche, frei zugängliche Universität“, sagt Stefan Endewardt. Die Verslumung „soll keine platte 1:1 Übersetzung sein, die zeigt, wie es bei einer solchen Politik in Zukunft aussieht, das wäre zynisch“. Stefan kennt echte Slums, er hat ein Jahr in Zimbabwe gelebt. „Es ist eher eine soziale Skulptur im Sinne von Beuys“. Ein organisches lebendiges Projekt, das von einer „dezentralen, vernetzten“ Studentenschaft geschaffen wurde, um eine öffentliche Diskussion in Gang zu bringen.

Robert sind die Begriffe „Emanzipation“ und „Partizipation“ wichtig: „Es wird uns vorgemacht, wir könnten nichts mehr an den gesellschaftlichen Verhältnissen ändern. Visionen, Ideen zu formulieren, darum geht es überhaupt nicht mehr. Dabei kann man immer Geschichte machen“.

Die Aktion soll auf andere öffentliche Plätze Berlins ausgeweitet werden. Vor dem Hauptgebäude der HU steht inzwischen ein zweites, kleineres Slum. Weitere sollen folgen. „Schließlich haften Studenten für ihre Politiker“, steht auf einem Plakat.